Dieses Blog durchsuchen

Rezension: #Erinnerungsstätte an der #Frankfurter_Großmarkthalle- #Deportation der #Juden 1941-1945- Prestel

Am 25. Oktober 1928 wurde in Frankfurt/Main die neue Großmarkthalle eingeweiht. Entworfen hatte sie  der Architekt Martin Elsässer.  Das Gebäude beeindruckte damals durch seinen monumentalen, funktionalen und technisch ausgeklügelten Hallenbau, der im In- und Ausland als Beispiel der architektonischen Moderne galt. Dreizehn Jahre danach mieteten die Geheime Staatspolizei in Komplizenschaft mit "brauner" Stadtverwaltung und Gauleitung die Keller an, um ab Oktober 1941 mehr als 10.000 jüdische Menschen dort "zu sammeln, auszuplündern, zu erniedrigen und sie dann gewaltsam auf die Transporte in den Tod zu zwingen." Währenddessen lief der tägliche Marktbetrieb weiter. 

Heute befindet sich auf dem Gelände, auf dem bis 2004 die Großmarkthalle stand, der Sitz der #Europäischen_Zentralbank und hier auch ist die Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkhalle positioniert. 

#Salomon_Korn, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main spricht der Erinnerungsstätte eine heraussagende Bedeutung zu, weil sie an das entsetzliche Leid der schwer misshandelten Menschen und Mordopfer erinnert. Korn lässt nicht unerwähnt, dass diese Menschentransporte zentraler Bestandteil der staatlich gelenkten Ausplünderung und wirtschaftlichen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung waren. Alle inhaftierten Menschen dort mussten vor dem Abtransport eine detaillierte "Vermögenserklärung" abgeben und ihr Hab und Gut dem Staat überschreiben. Mit dem Aufenthalt in der Großmarkthalle wurde bezweckt, die Menschen zu entwürdigen und völlig auszurauben. 

Im Buch wird das künstlerische Konzept der Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle seitens #Marcus_Kaiser und #Tobias_Katz vorgestellt und von #Norbert_Migueletz fotografisch dokumentiert. Kaiser und Katz wollen durch ihre Gestaltung auf das hinweisen, was an jenem Ort vorgefallen ist, man aber dem Ort so nicht ansieht. Die beiden verstehen den Charakter des Hinweisens als dokumentarisch und emotional zugleich, dabei stets subtil und nicht didaktisch erläuternd. 

Peter_Cachola_Schmal schreibt, dass die neue Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle ganz bewusst in der Tradition der größten Vorbilder der Gedenkstättenarchitektur stehe, zeige sich in der Lakonie, Präzision und Reduktion der architektonischen Mittel. 

Die  Zeugenschaft der Deportationen wird textlich dokumentiert. Was man hier lesen kann, berührt zutiefst und löst Empörung aus. Monica Kingreen berichtet in ihrem Aufsatz über "Die Großmarkthalle und die gewaltsame Verschleppung der jüdischen Bevölkerung Frankfurts und des Regierungsbezirks Wiesbaden ab 1941 bis 1945 und hier auch von der Großmarkthalle als Gestapo-Sammellager und den zahlreichen Massendeportationen. Auch die Perspektive eines NS-Täters kommt zur Sprache, bevor der lange Weg zur Erinnerung von Fritz Backhaus nachgezeichnet wird. 

Sich mit den Gräueltaten der Deutschen zu Zeiten Hitlers bewusst auseinander zu setzen und nichts zu verschweigen,  ist heute notwendiger denn je, weil der Fremdenhass  in diesem Land sich schon wieder breit macht und die Pogromstimmung  mittlerweile erneut  als Normalzustand hingenommen wird.

Sehr empfehlenswert 

Helga König

Im Fachhandel erhältlich
Onlinebestellung:  Prestel oder Amazon

Rezension:"Mit meiner Vergangenheit lebe ich“ Memoiren von #Holocaust- Überlebenden- Herausgegeben von Ivan Lefkovits mit 15 Bildern von Gerhard Richter- Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag

Die vorliegende Box enthält 15 Hefte mit Memoiren von Holocaust-Überlebenden, die Ivan Lefkovits – er ist einer von ihnen- herausgegeben hat. Es handelt sich bei diesem umfangreichen Werk um ein Memoiren-Projekt gegen das Vergessen. 

Wir leben in einer Zeit, in der die Generation der im Holocaust nicht ermordeten jüdischen Zeitzeugen ausstirbt und einige der Autoren der vorliegenden Hefte schon nicht mehr leben. Um so mehr ist es nun Aufgabe bei nachfolgenden Generationen, die Erinnerung an  das größte Verbrechen aller Zeiten wachzuhalten und sie von der Humanität als das einzig sinnstiftende menschliche Verhalten zu überzeugen.

Die Umschläge der Hefte sind mit Bildern des Künstlers Gerhard Richter illustriert. Peter Iden schreibt dazu in einem Essay, dass Richter für den Umschlag eines jeden Bandes aus vier großformatigen Gemälden Teile herausgeschnitten habe. Die Originale wurden im Frühjahr 2015 in Dresden im Museum Albertinum der Städtischen Kunstsammlungen gezeigt. Bei den Bildern handelt es sich um abstrakte Malerei. 

Die vier Werke tragen den Titel "Birkenau". Dies ist der Namen des größten Vernichtungslagers der Nazis, in dem  die  braunen Schergen etwa 1,1 Millionen Menschen ermordet haben. Peter Iden berichtet über die Entstehung dieser Bilder und auch wie man deren Farben zu interpretieren hat. Resümierend schreibt er: "Eine Wut lebt in dieser Malerei. Wütende Trauer. Verzweiflung. Zu spüren ist in jedem Augenblick die für den Maler existentielle Notwendigkeit, diese Bilder zu wagen", die "die Grenzen des Fassbaren" bezeugen. 

Der Herausgeber  Ivan Lefkovits erzählt im Heft Nr. 8 aus seiner Vita. Er ist Holocaust-Überlebender des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, wo er am 15. April 1945 seitens der britischen Armee befreit wurde. Er ist der einzige aus seiner Familie, der den Holocaust überlebte. Der studierte Chemiker besitzt seit 1984 das Schweizer Bürgerrecht und lebt in Basel. 

Allen Heften sind eine Vielzahl von Schwarz-Weiß-Fotos beigegeben worden, die genau wie die Texte als sinnstiftende Maßnahmen gegen das Vergessen zu begreifen sind. Jedes der Hefte enthält entsetzliche Zeugnisse von nie zuvor da gewesener Menschenverachtung. 

Die Texte vollständig zu lesen, kostet Überwindung und man fragt sich immerfort, wie es überhaupt möglich war, mit solchen Traumata sein Leben fortzusetzen: All die Leichenberge in Bergen-Belsen, der Rauch der Krematorien, der Wahnsinn der Selektion, die Brutalität, die Folter, die unglaublichen Perversionen dieser furchtbaren Nazibrut, wie soll man damit umgehen? Alles als Teil des Menschseins begreifen, als das Böse, das immer wieder hervorbrechen kann? 

Schon wieder brennen Häuser in Deutschland, schon wieder gibt es Attacken gegen Fremde. In 2015 haben Rechtsextreme 924 Flüchtlingsheime angegriffen. Dabei nehmen die Täter die Gefahr für die Menschen in den Häusern billigend in Kauf. Der rechte Mob tobt erneut auf den Straßen und jeder, der nicht blind ist, sieht die Parallelen zu den fatalen Zuständen in der Weimarer Republik. 

Diese  Memoiren von Holocaust-Überlebenden zu lesen, empfehle ich nachdrücklich. Wer verdrängt oder vergessen will, wer zusieht und schweigt, wer nicht begreifen möchte, dass der Jude von gestern heute bei den Rechtsradikalen der Muslime ist, macht sich mitschuldig, wenn morgen hierzulande wieder Millionen  von Menschen Opfer  einer krankhaften Ideologie werden.

Sehr empfehlenswert 

Helga König

Überall im Fachhandel erhältlich
Onlinebestellung: Suhrkamp  oder Amazon