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Rezension: Psychopolitik- Neoliberalismus und die neuen Machttechniken

Prof. Dr. Byung –Chul Han hat mit "Psychopolitik – Neoliberalismus und die neuen Machttechniken" ein Buch auf den Markt gebracht, das mich gedanklich sehr beschäftigt hat, denn er zeigt auf, dass die digitale Kontrollgesellschaft, in der wir leben, uns eine Freiheitskrise beschert.

Zunächst definiert der äußerst eloquente Autor, was er unter Freiheit versteht und definiert: "Frei sein heißt frei von Zwängen sein." Im Hier und Heute aber verhält es sich so, dass wir eine Vielzahl von inneren Zwängen und Selbstzwängen aufgebaut haben und zwar in Form von Leistungs- und Optimierungszwängen, demnach weit entfernt von Freiheit sind. Diese neue Unfreiheit, die Folge der digitalen Kontrollgesellschaft ist, führt zu Krankheitsbildern wie Depression oder Burnout. 

Byung-Chul Han macht klar, dass das neoliberale Subjekt als Unternehmer seiner selbst unfähig sei, Beziehungen zu anderen aufzubauen, die frei vom Zweck seien. Frei-sein aber bedeute ursprünglich bei Freunden zu sein. Das neoliberale Subjekt aber sei vereinzelt und insofern unfrei. Der Autor resümiert: "Der Neoliberalismus ist ein sehr effizientes, ja intelligentes System, die Freiheit selbst auszubeuten." (S.11). Der Wissenschaftler, der seit 2012 Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin lehrt, schreibt, dass alles, was zu Praktiken und Ausdrucksformen der Freiheit gehöre, so etwa Emotion, Spiel und Kommunikation ausgebeutet werde. Untergraben wird die Freiheit, die ein Synonym für eine gelingende Gemeinschaft sei.

Der Neoliberalismus sei eine Mutationsform des Kapitalismus, forme aus dem Arbeiter einen Unternehmer und aufgrund dieser perfiden Methode die fremdausgebeutete Arbeiterklasse. Heute ist jeder ein "selbstausbeutender Arbeiter seines eigenen Unternehmens".

Nach Auffassung des Autors lässt sich die Unterscheidung von Proletariat und Bourgeoisie  insofern nicht mehr aufrechterhalten, denn heute sind alle von einer Diktatur des Kapitals beherrscht. Alle Klassen sind im Neoliberalismus von der Selbstausbeutung betroffen. 

Wer in der neoliberalen Leistungsgesellschaft scheitert, stellt das System nicht in Frage, sondern macht sich selbst verantwortlich. Das scheint die besondere Perfidie des neoliberalen Regimes zu sein. Die Aggression richtet sich gegen sich selbst. Heute werden Ausgebeutete nicht mehr zum Revolutionär, sondern sie werden depressiv, (vgl.: S.16).

In der digitalen Kontrollgesellschaft pervertiert die Freiheit und wird zur freiwilligen Selbstausleuchtung und Selbstentblößung. Dies geschieht unter dem Namen der Informationsfreiheit. Mehr Kommunikation und Information bedeute mehr Produktivität, Beschleunigung und Wachstum. Ein gutes Beispiel hierfür scheint mir Amazon zu sein. Auf deren Verkaufsplattform kann man sich die Thesen Byung Chul Hans sehr gut vergegenwärtigen.

Nach Auffassung des Autors werden Personen im Neoliberalismus entinnerlicht und zwar weil Innerlichkeit dessen Ziele  behindere und die Kommunikation verlangsame, gar blockiere.

Im Neoliberalimus sind wir keine freien Bürger mehr, sondern Konsumenten, unfähig politisch zu handeln. Da der Mensch im digitalen, neoliberalen Zeitalter sich pausenlos selbstausleuchtet und ständig im Netz kommuniziert, ist Datenschutz kein wirkliches Thema mehr, weil die Geschützten durch ihr Tun die staatlichen Schutzmaßnahmen fortwährend unterlaufen.

Wir kommunizieren unsere Meinungen, Bedürfnisse, Wünsche und Vorlieben, setzen auf freiwillige Selbstoptimierung und Selbstorganisation und werden auf diese Weise in der neoliberalen Kontrollgesellschaft unfrei und krank.

Wie kann man sich diesen Mechanismen entziehen und dennoch im Internet agieren? Ich denke, man muss sich genau überlegen, wo man sich platziert, welche Informationen man nach außen gibt und in welchem Rahmen man tatsächlich unter Freunden ist.

Der Autor schreibt u.a. über Betrachtungen des französischen Philosophen Foucaults, dem Begrifflichkeiten wie Selbstausbeutung noch nicht bekannt waren. Thematisiert werden zudem auch die sich immer intensiver vermehrenden Persönlichkeitsseminare und Mentaltrainings, deren Aufgabe es ist die Selbstoptimierung des Einzelnen in der neoliberalen Kontrollgesellschaft zu verbessern. Diese betrachtet er mit großer Skepsis.

Der Freiraum im Neokapitalismus ist so eng, dass die Menschen kaum mehr atmen können. Alles führt zur totalen Selbstausbeutung. Wer Amazon kennengelernt und das System dort begriffen hat, weiß wie perfide die Methoden sein können. Vielleicht muss man dort an seine eigenen Grenzen gegangen sein, um die Methoden des Neokapitalismus wirklich in ihrer gesamten Perfidie zu kapieren.

Es stimmt, wenn Byung-Chul Han sagt, dass das Subjekt des neoliberalen Regimes am Imperativ der Selbstoptimierung zugrunde gehe, nämlich am Zwang, immer mehr Leistung hervorzubringen.

Es stimmt fernerhin, dass wir uns in einer Diktatur der Emotion befinden, weil der Neoliberalismus erkannt hat, dass die Emotionalisierung die Produktivität steigert. Ebenfalls benutzt wird das Wissen, dass der spielende Mensch produktiver ist. Deshalb auch wird die Gratifikationslogik von "Likes" zur Produktions- bzw. der Verkaufssteigerung genutzt. Bestes Beispiel: Amazon.

Was können wir tun, um unsere Individualität und Freiheit nicht vollständig aufzugeben? Wir  können neoliberale Strukturen im Netz ausloten und analysieren, Selbstausbeutung  bewusst begrenzen und uns dort aufhalten, wo wir unter Freunden sind, denn solche Orte versprechen zumindest eine relative Freiheit. 

Sehr empfehlenswert.

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