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Rezension: Verschwunden- das Fotoprojekt von Gustavo Germano mit Texten zur Diktatur in Argentinien 1976-1983

1976 wurde Isabel Peron in Argentinien durch einen Militärputsch unter Führung des Generals J.R. Videla und seinen Nachfolgern in diktatorisches Regierungssystem, das im Zeichen eines ständig steigernden Staatsterrorismus nicht nur die terroristischen Aktivitäten linksperonistischer und sozialistischer Gruppen bekämpfte, sondern auch die gesamte Oppostition unterdrückte, abgesetzt.

Noch heute kämpfen die Angehörigen der über 30. 000 Verschwundenen um Gerechtigkeit und werden von Künstlers durch entsprechendes Engagement in der Literatur, im Film, im Theater und in der Musik unterstützt.

Im vorliegenden Buch wird man anhand von Bildern und Prosa- sowie Lyriktexten mit dem schmutzigen Krieg der argentinischen Militärs konfrontiert. 15 Fotopaare und die dazugehörigen Biographien geben einen Eindruck von dem unsägliche Leid, das die Argentinier aufgrund des Staatsterrors ertragen mussten.

Gleich zu Beginn wird General Videla zitiert, um die Monströsität des Regimes zu verdeutlichen: "In Argentinien werden alle Personen sterben müssen, die notwendig sind (sic), um die Sicherheit des Landes zu erreichen" (Zitat: Videla, 1975).

Die Bilder jener Tage zeigen junge, sehr fröhliche Menschen. Jedem Bild ist ein Foto von heute gegenüber gestellt, auf dem stets einer Mensch fehlt. All diese fehlenden Personen wurden Opfer des Militärregimes.

In einem der Texte - er wurde am 30.4.1988 von den Müttern der "Plaza de Mayo" verfasst- liest man wie die Militärs ihre grausamen Taten zu exkulpieren versuchten: "Es sind Terroristen, irgendetwas werden sie schon angestellt haben, man muss sie vernichten. Bis zur Erschöpfung wiederholten sie das, die Militärs, der bewaffnete Arm der herrschenden Klasse, und diejenigen, die solches Grauen und so viele Tode durchführten. Eins um das andere Mal wiederholten es die Würdenträger der Kirche, die Gewerkschaftfunktionäre, die verstrickten Richter, die korrupten Politiker, und auch, man muss es aussprechen, ein großer Teil der Mittelschicht, der sein Gewissen für Reisen nach Miami und Importfernseher hergab."(Zitat S. 72)

Zahlreiche schriftliche Dokumente aus jenen Tagen des Terrors sind im Buch nachlesbar und verdeutlichen, was machtbessene Menschen ihren Mitmenschen an zu tun in der Lage sind, wenn man sie nicht einbremst.

Der Schriftsteller Julio Cortázar verfasste 1981 einen Text mit dem Titel "Wirklichkeit und Literatur in Lateinamerika", den man im Buch nachlesen kann. Hier schreibt er u.a. "deshalb sollte jeder, der ein Buch öffnet, das in einem dieser Länder geschrieben und herausgegeben wurde, wo das kritische Denken und manchmal sogar die Phantasie als Verbrechen gelten, es lesen, als halte er eine jener legendären Flaschen in den Händen, die ins Meer geworfen wurden, um eine Botschaft, oder eine Hoffnung so weit zu tragen wie möglich" (Zitat: S. 95).

Im Rahmen meines Politikstudium belegte ich einst bei einem argentinischen Professor, der diesem schrecklichen Terror entkommen konnte, zwei Hauptseminare "Literatur in Lateinamerika(1 und 2)", um das Verhalten der dortigen Mittelschicht an literarischen Texten zu analysieren. Wir befassten uns damals auch mit Cortázar, dessen Texte tatsächlich an Flaschenpost erinnerten, die den Hoffnungsgedanken bis nach Europa trugen.

"Verschwunden" ist ein beeindruckendes Buch, das auf die üblichen Klappentexte verzichtet und stattdessen auf den Innenseiten der Buchdeckel die Namen unzähliger Verschwundener auflistet.

Sehr empfehlenswert.


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